Joachim Zelter – „Wiedersehen“ oder vom „Schein und Sein“

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Joachim Zelter, der tiefgründige, originelle, unterhaltsame und lehrreiche Schriftsteller hat einen neuen Roman geschrieben.
Eine Novelle.
Der Buchtitel lautet:
„Wiedersehen“.

Dieses Buch handelt vom Schein und Sein.

Machen Sie sich etwas aus Titeln?
Dann ist „Wiedersehen“ genau der richtige Lehrstoff, um den Boden der Realität zu spüren. Der Text zieht aus, um einem, nein nicht unbedingt das Fürchten, aber den Spiegel vor Augen zu halten.

Und machen Sie sich nichts aus Titeln?
Dann ist auch für Sie dieses Buch unbedingt lesenswert.
Schein und Sein bestimmen die Seiten. Das Leben wird als eine Art Konkurrenztheater dargestellt, bei dem alles auf die beste Selbstinszenierung ankommt, bei der die Devise lautet: Realisiere dein Leben als Gesamtkunstwerk. Joachim Zelter spielt mit unserer Wahrnehmung oder was wir dafür halten und zwar mit Nietzsches Feststellung: „Wenn Einer sehr lange und hartnäckig Etwas scheinen will, so wird es ihm zuletzt schwer, etwas Anderes zu sein.“
Spüren Sie den Blick des Autors im Nacken? Seinen Fingerzeig auf Schule und Leben, Wissen und Intelligenz, Schein und Sein?
Denn zunehmend verlieren wir im Zeitalter „Sozialer Medien“ wie z.B. Facebook, bunter Printmedien oder durch die atemberaubende Expansion virtueller Realitäten die Fähigkeit, hinter äußerliche und reale Erscheinungsbilder unserer Gesellschaft zu blicken.

Wiedersehen I

Für alle Beteiligten des Buches ist es im wahrsten Sinne des Wortes ein Wiedersehen.
Nicht nur für die Protagonisten, dem ehemaligen Schüler und jetzigem Professor Arnold Litten; das Anagramm zu Litten lautet übrigens Titeln. Was auch unbedingt so zum Inhalt des Buches und zum tiefsinnigen Humor Zelters passt.

Und nicht, wie ich anfangs assoziierte und dachte: Hans Litten. Ein von den Nazis ermordeter Rechtsanwalt und Strafverteidiger, jener hatte sich nach mehreren hintereinander liegenden Gefängnis-und KZ-Aufenthalten in Dachau erhängt.
( Weil Erinnerungskultur wichtig ist, lasse ich obigen Hans-Litten-Gedankengang stehen und füge am Ende der Buchbetrachtung einen Link ein).

Auch Thorsten Korthausen, Lehrer im Ruhestand, freut sich auf das Wiedersehen mit seinen mittlerweile titeltragendenden ehemaligen Schülern, längst im Berufsleben Angekommene, die sich auf Einladung hin in seinem Haus und Garten nach über zwanzig Jahren wiedertreffen. Eine von Korthausen groß angekündigte „Aus-dem-Stand-heraus“-Rede seines einstigen „Muster“-Schülers Arnold Litten erweckt riesige Erwartungen, an denen Litten zu scheitern droht. Satire auf die Akademikerebene und Scheinwelt der „Oberen“ vom Feinsten!

Wiedersehen II

Der Leser darf sich auf ein Wiedersehen mit Samuel Beckett, Friedrich Nietzsche, Shakespeare, Goethe, Walt Disney u.v.m. freuen.
Und Eugène Ionescu flüstert den Lesern hinter den Kulissen zu: „Wesentlich ist die Tatsache, dass man sich klar darüber wird, dass man Mensch ist, dass man sich der eigenen Lage gegenüber der Welt bewusst wird, die man fast nie als seine Welt empfindet. Diese Lage ist unangenehm, aber die ursprünglichste, die Ursituation.“

Wiedersehen III

Die Phantasie oder Vom Schein und Sein einer gefährlichen Dogge.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Klassenzimmer und warten aufgeregt auf ihren Deutschlehrer, weil sie nämlich eine Klassenarbeit schreiben werden. Der Lehrer öffnet die Klassenzimmertür und auf seinen Fersen folgt ihm: eine riesige Dogge. Als gefährlich beschrieben, sehr wachsam und bissig, hatte der Lehrer von diesem Tier erzählt. Er verteilt die Arbeiten, erläutert kurz den zeitlichen Ablauf, um sich mit den Worten zu verabschieden, dass er eine andere Klasse unterrichten müsse, der Hund würde die Aufsicht übernehmen. Würden Sie sich von ihrem Schreibpult entfernen? Ich nicht. Meine Phantasie würde Kapriolen veranstalten und ich würde zusehen, die Klassenarbeit fertig zu schreiben, das Pausenläuten fest im Visier. Nach der Klassenarbeit käme der Lehrer zurück und beim Einsammeln der Arbeiten würde er trocken erklären, dieses Tier sei nie und niemals zu einer Untat fähig. Die Bestie sei nur in den Köpfen der Schüler zum Leben erweckt worden.

Genauso beschreibt Zelter eine typische Lehrerszene. Thorsten Korthaus, berühmt berüchtigt für seinen eigenen Unterrichtsstil, der sich längst zum Ziel gemacht hat, Schülern, unabhängig von ihrer Intelligenz, Wissen zu vermitteln. …

Heute Abend besuche ich im Zimmertheater Tübingen Joachim Zelters Erstlesung und werde im Laufe der nächsten Tage diese Buchbesprechung zu Ende schreiben.

Diese zwei Links führen Sie zu weiter gehenden Informationen zu Hans Litten.
Film: https://www.youtube.com/watch?v=BGIwAj7EG0g
Zeit – Artikel: http://www.zeit.de/1988/07/vergessener-anwalt

Februar von Erich Kästner

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Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht,
bleibt ja doch nur eins: die Zeit.

Pünktlich holt sie aus der Truhe
Falschen Bart und goldnen Kram.
Pünktlich sperrt sie in die Truhe
Sorgenkleid und falsche Scham.

In Brokat und seidnen Resten,
eine Maske vorm Gesicht,
kommt sie dann zu unsren Festen.
Wir erkennen sie nur nicht.

Bei Trompeten und Gitarren
Drehn wir uns im Labyrinth
Und sind aufgeputzt wie Narren,
um zu scheinen, was wir sind.

Unsre Orden sind Atrappe.
Bunter Schnee ist aus Papier.
Unsre Nasen sind aus Pappe.
Und aus welchem Stoff sind wir?

Bleich, als sähe er Gespenster,
mustert und Prinz Karneval.
Aschermittwoch starrt durchs Fenster.
Und die Zeit verlässt den Saal.

Pünktlich legt sie in die Truhe
Das Vorüber und Vorbei.
Pünktlich holt sie aus der Truhe
Sorgenkleid und Einerlei.

Nordwind bläst. Und Südwind weht.
Und es schneit. Und taut. Und schneit.
Und indes die Zeit vergeht, 

bleibt uns doch nur eins: die Zeit.

Mutter Erde Kybele

mutter erde kybele

Zigeuner unterwegs

Der Wahrsager-Stamm mit glühenden Augen brach
gestern auf, die Kleinen auf dem Rücken tragend
oder ihrer Gier zur Stillung den stets bereiten Schatz
der hängenden Brüste bietend.

Die Männer gehen zu Fuß unter blitzenden Waffen
längs den Wagen, auf denen die Ihrigen kauern,
und lassen über den Himmel ihre Augen wandern,
die von trüber Sehnsucht nach fernen Wundern
schwer sind.

Am Grunde ihres Sandlochs sieht die Grille sie
vorbeiziehn, und lauter klingt ihr Lied; Kybele,
die sie liebt, vermehrt ihr Grün,

Macht, daß der Felsen Wasser spendet und
die Wüste blüht vor diesen Fahrenden, denen
die Finsternisse der Zukunft offenstehen: ein
vertrautes Reich.

Charles Baudelaire

Abschied

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Für die Freundin. Von Herzen.

Als der Regenbogen verblasste
da kam der Albatross
und er trug mich mit sanften Schwingen
weit über die sieben Weltmeere.
Behutsam setzte er mich an den Rand des Lichts.
Ich trat hinein und fühlte mich geborgen.
Ich habe euch nicht verlassen,
ich bin euch nur ein Stück voraus.

Verfasser unbekannt